Ankunft in New Orleans

Mittwoch, 30. September 2009.

Um 5:26 Uhr starte ich meine Reise am Bahnhof in Grub. Sie verläuft weitgehend reibungslos (nur mein dickes Teleobjektiv erregt Verdacht, so dass mein Handgepäck einer genauen chemischen Analyse unterzogen wird), und 19 Stunden später lande ich pünktlich um 17:47 Uhr in New Orleans. Sogar die beiden Gepäckstücke, die ich aufgegeben habe und die alles enthalten, was ich den kommenden 12 Monaten zu brauchen gedenke, kommen unversehrt an (lediglich mein Aftershave hat den Flug nicht überstanden und hüllt den Rucksack in eine intensive Duftwolke). Kaum dass ich die Gangway verlassen habe, werde ich schon von Prof. Moll persönlich empfangen! (Besucher können also bis in die hintersten Ecken des Flughafens vordringen; wie praktisch, dass sich somit jeder frei am Gepäckband bedienen kann!

Sogar ein Hotelzimmer hat er für mich reserviert, mir aber kein Sterbenswörtchen davon verraten ("ist eh klar, das gebietet doch die Gastfreundschaft!"). Wie peinlich, dass ich mich selber auch um eine Unterkunft gekümmert habe. Zum Glück lässt sich das Missverständnis unkompliziert aus der Welt schaffen.

Donnerstag, 1. Oktober 2009.

Dank Zeitverschiebung wache ich natürlich sehr früh auf, zwinge mich aber zumindest so lange im Bett zu bleiben, bis es hell wird. Die Atmosphäre in dem kleinen Hotel ist sehr familiär, was sich unter anderem darin äußert, dass um diese Zeit noch niemand an der Rezeption sitzt. Stattdessen liegt dort neben dem Telefon ein Zettel mit einer Handynummer, die man in solchen Fällen anrufen kann. Leider hebt niemand ab, so dass ich beschließe, mir die Zeit mit einem Spaziergang zu vertreiben, bei dem ich gleichzeitig auskundschaften kann, wo mein zukünftiges Zuhause liegt.

Mit dem Streetcar, der Straßenbahn, fahre ich später zur Tulane University und melde mich im Sekretariat des Mathematics Departments. Für meine Ankunft wurde alles perfekt vorbereitet: Ich bekomme eine Mappe ausgehändigt mit meinem Schlüssel, dem Code für den Kopierer, auszufüllenden Formularen und anderen Informationen (Campusplan, Bibliotheksordnung, usw.). An der Bürotür ist schon mein Name angebracht, ebenso wie an meinem Postfach, und auch der Computer-Login wird sofort eingerichtet. Am Ende gibt's noch ein Tulane-T-Shirt, eine Tulane-Schirmmütze und eine Tulane-Perlenkette für Mardi Gras (Fasching).

Am Nachmittag habe ich den Termin mit meinem Landlord (Vermieter). Bevor ich diesen jedoch wahrnehmen kann, muss ich unbedingt bei einer Bank Schecks besorgen, um die Kaution und die erste Miete zu bezahlen (andere Zahlungsarten werden nicht akzeptiert, was mir im Vorfeld schon große Probleme bereitet hat: Wie transferiert man von Europa Geld per Scheck nach Amerika? Ein Ding der Unmöglichkeit!). Bei der Bank kann ich sogar gleich ein Konto eröffnen, so dass ich meine eigenen Schecks ausstellen kann und keine Kassenschecks kaufen muss. Neben Pass, Visum, etc. muss ich lediglich eine Bestätigung von der Uni vorweisen, die ich aber problemlos im Office of International Students & Scholars bekommen kann.

Ich werde in dem Papillon-Gebäude wohnen, das der Uni gehört, und dessen Apartments an Mitarbeiter und Studenten vermietet werden. Der Termin mit dem Landlord nimmt einige Zeit in Anspruch, schließlich müssen 25 Seiten Mietvertrag gelesen und diskutiert werden. Des weiteren eine genaue Einweisung in die Hausordnung und wie der Fitnessraum, das Konferenzzimmer, der Shuttlebus zur Uni, der Pool und der Innenhof mit den Elektrogrills zu benutzen sind (ja, alle diese Annehmlichkeiten stehen den Bewohnern zur freien Verfügung!). Die Wohnung selbst ist sehr geräumig (826 Quadratfuß sind über 70 Quadratmeter), aber bis auf Küche und Bäder komplett unmöbliert. Trotzdem kommt die mitgebrachte Luftmatratze nicht zum Einsatz, da ich noch am selben Tag am Schwarzen Brett eine Annonce entdecke, dass in einem anderen Apartment ein Teil der Einrichtung zum Verkauf steht. Nach kurzer Zeit ist man sich handelseinig, und ein Tisch, zwei Stühle, eine einfache Schlafcouch, eine Bettdecke und zwei Kissen inklusive Bezüge, ein Topf, eine Pfanne, jeweils vier große Teller, kleine Teller, Schüsseln und Tassen, sowie ein Mülleimer wechseln für 200 Dollar den Besitzer.

Freitag, 2. Oktober 2009.

Heute bin ich für eine "Orientation", eine Einführung für neue Mitarbeiter, eingeteilt. Da es in Strömen regnet, ziehe ich mir meine Jacke über. Nun ist es aber nicht so, dass der Regen in diesem tropischen Klima für Akühlung sorgen würde. Nein, es ist genauso heiß und schwül wie gestern, als die Sonne schien! Man hat also die Wahl, ob man sich vollregnen lässt oder unter der Jacke jämmerlich schwitzt; nass ist man in beiden Fällen. Zum Glück kommt man dann in einen auf 18 Grad heruntergekühlten Raum, so dass man nach kurzer Zeit die Hitze von draußen wieder herbeisehnt. So geht es ständig vom einen Extrem in das andere.

Die Einführungsveranstaltung dauert bis nachmittags um 14 Uhr, also geschlagene 5 Stunden ohne längere Pause. Für jedes Thema gibt es eine Person, die zuerst jedem Teilnehmer einen Stapel Zettel austeilt zum Lesen und/oder Ausfüllen und dann ausführlich über ihren Zuständigkeitsbereich vorträgt. Nun weiß ich bestens Bescheid über Kinderbetreuungsangebote, Arbeitszeiterfassung, Krankenversicherungstarife und Selbstbehalte, Anlaufstellen bei Diskriminierung und Belästigung, Urlaubsanspruch, krankheitsbedingte Fehltage, die gesellschaftliche Aufgabe der Universität als solches und die sichere Lagerung von Gasflaschen. Am Ende bin ich total fertig und das Papier vor mir stapelt sich mehrere Zentimeter hoch.

Nur kurz schaue ich noch im Math Department vorbei, wo ich Eric Rowland treffe; mit ihm werde ich mir das Büro teilen und ich habe gleich den Eindruck, dass das sehr gut funktionieren wird. Dann fahre ich heim und tätige zwei wichtige Einkäufe: ein Modem, das ich für den Internetanschluss in meinem Zimmer benötige, und eine amerikanische Prepaidkarte fürs Handy, da man zum Freischalten des Internet beim Provider anrufen muss (die Internetnutzung selbst ist dann kostenlos). Zurück in der Wohnung stelle ich allerdings fest, dass das Koaxialkabel, mit dem man das Modem an die Buchse anschließt, nicht im Lieferumfang enthalten ist. Also noch kein Internet an diesem Abend.

Samstag, 3. Oktober 2009.

Gleich am Morgen kaufe ich ein Koaxialkabel. Dann der Anruf zum Internetfreischalten: Zuerst hebt niemand ab, dann werde ich an eine andere Nummer verwiesen, wo ich mich erst minutenlang durch ein automatisches Menü durchwählen muss, bis ich endlich einen menschlichen Mitarbeiter in der Leitung habe, doch dann geht alles ganz schnell: MAC-Adresse des Modems durchgeben und wenige Sekunden später rauschen die ersten Bytes durchs Kabel. Mit dabei eine Mail von Eric: Die Postdocs aus dem Math Department treffen sich heute abend zum "art for arts sake". Ob ich nicht Lust hätte, mit ihm dahin zu gehen.

Treffpunkt ist bei Sarah in der Wohnung, wo es Pizza gibt und ich viele neue Leute kennenlernen kann. Anschließend machen wir uns auf zur Magazine Street, wo sämtliche Galerien und Kunstläden geöffnet haben, mit Häppchen und Getränken Besucher (bzw. Käufer) anlocken und an mehreren Ecken Bands musizieren. Insgesamt ein sehr unterhaltsames Spektakel, eine Vernissage, die sich die ganze Straße entlangzieht.

Sonntag, 4. Oktober 2009.

Die vielen Einkäufe der letzten Tage haben meinen Haushalt allmählich mit dem Nötigsten ausgestattet: Klopapier (leider gibt es kein gescheites, nur das dünne, ultraweiche!) und Klobürste, Putzlappen, Geschirrtücher, Fliegenklatsche, Seife, Spülmittel, Müllbeutel und einen Duschvorhang (allerdings ohne Ringe, daher muss mit einer Schnur ausgeholfen werden). Dieser war dringend notwendig, da nach jedem Duschen das ganze Bad überschwemmt war. Der Grund liegt in der Bauart amerikanischer Duschen, bei denen man nur die Temperatur einstellen kann, nicht aber die Stärke des Wasserstrahls. Der spritzt mit voller Wucht aus dem Duschkopf, der dummerweise auch noch fest an der Wand montiert ist. Man hat also keine Chance. Besonders wichtig auch: ein Schraubenzieher, da meine beiden Balkontüren zugeschraubt sind. Die Holzkonstruktionen sind über die Jahre instabil geworden, so dass die Balkone nicht mehr benutzt werden dürfen. Trotzdem möchte ich die Türen natürlich gerne zum Lüften und zum Fast-draußen-auf-dem-Balkon-Sitzen aufmachen können.

Weitere Arbeiten in der Wohnung: An den Türschwellen, wo die Fliesen der Küche aufhören und der Teppich beginnt, ist dieser mit Nägeln befestigt, deren Spitzen nach oben ragen und beim Barfußlaufen sehr deutlich spürbar sind. Wieder tut der Schraubenzieher gute Dienste beim Umbiegen. Außerdem gründliches Säubern der Metallregale, auf denen sich unter den Vormietern ein Schmutzfilm gebildet hat. Dann der Wohnungscheck: Beim Einzug habe ich eine lange Liste bekommen, was ich alles überprüfen muss, damit eventuell vorhandene Schäden nicht mir angelastet werden. Zum Beispiel die Steckdosen, 44 (!) an der Zahl: sie funktionieren alle. Auch die Küche ist üppig ausgestattet mit einem Kühlschrank, in dem mindestens ein halber Elefant Platz hat, einem 4-Platten-Herd (allerdings bestehen die "Platten" lediglich aus einer Heizwendel, auf der der Topf dann herumwackelt), Spülmaschine, einem Backofen mit einem Fassungsvermögen von zwei Truthähnen und einer Mikrowelle, in der ein weiterer ausgewachsener Truthahn locker Platz hat. Umso spartanischer das Schlafzimmer: Nicht eine einzige Lampe gibt es dort. Um die Liste zu vollenden muss ich jetzt nur noch die Waschmaschine und den Trockner testen; dann kann ich auch endlich in meinen Briefkasten schauen. Den Schlüssel dazu gibt's nämlich erst, wenn man die Checkliste vollständig ausgefüllt an der Rezeption abgegeben hat!

Am Abend arbeite ich mich weiter durch den Papierberg, von dem das meiste ad acta gelegt werden kann, einiges aber doch noch eine Aktion meinerseits erfordert. Zum Beispiel müssen alle neuen Mitarbeiter der Tulane University ein Online-Training zu sexueller Belästigung absolvieren. Statt der erwarteten 10 Minuten dauert es jedoch über eine Stunde, obwohl ich die Seiten, auf denen langwierige Gesetzestexte zitiert werden, schnell weiterklicke. Seitenweise werden da die verschiedenen Formen sexueller Belästigung aufgezählt, klassifiziert und exemplifiziert: Die Kursleiterin macht einem gutaussehenden Studenten gegenüber anzügliche Bemerkungen, die diesem auch recht schmeicheln. Ein Fall für "sexual harassment"? Ja, denn eine dritte Person könnte sich durch das Verhalten der beiden belästigt fühlen! Am Ende wird dann mit einer Reihe von Fragen geprüft, ob man alles aufmerksam durchgelesen hat. Nun bin ich stolzer Inhaber eines "sexual harassment certificate" (oder so ähnlich).

Montag, 5. Oktober 2009.

Erster richtiger Arbeitstag. Am Abend dann das Testen der Waschmaschine. Das ist gar nicht so einfach, da es keine Bedienungsanleitung gibt und sie so gar nicht wie eine europäische Waschmaschine aussieht. Nach langen Recherchen im Internet fühle ich mich dann der Aufgabe gewachsen. Man meint immer, in Amerika sei alles so supermodern und die Waschmaschine vielleicht so intelligent, dass sie per Sensor die Art der Wäsche und den Verschmutzungsgrad erkennt und dann automatisch ein ausgeklügeltes Waschprogramm erstellt. Aber weit gefehlt! Die Waschtrommel rotiert um eine senkrechte Achse mit einer Art Quirl in der Mitte; die Wäsche wird von oben hineingegeben. An den Knöpfen muss man dann die Wassermenge und -temperatur einstellen (dabei entspricht "hot" der Temperatur der Warmwasserleitung, die Maschine selber kann das Wasser nicht aufheizen), ein Programm wählen und die Dauer des Waschgangs in Minuten festlegen. Ein Fach für das Waschmittel sucht man vergebens, es wird einfach über die Wäsche gegossen. Will man vermeiden, dass ein aggressives Waschmittel dadurch Flecken auf der Wäsche hinterlässt, kann man folgenden Trick anwenden. Man lässt beim Start die Klappe offen; die Maschine beginnt die Trommel mit der eingestellten Wassermenge zu fluten und stoppt dann, weil ein Sicherungsmechanismus das Rotieren der Trommel verhindert. Hat man die Menge richtig abgeschätzt, ist nun die Wäsche komplett unter Wasser und man kann das Waschmittel hineinleeren. Nach Schließen der Klappe dreht sich der Quirl für die vorgegebene Zeit, dann wird gespült und geschleudert. Die ganze Prozedur läuft ziemlich brutal ab, so dass man froh sein sollte, wenn sowohl Wäsche als auch Maschine sie unbeschadet überleben. Die Frage, ob die Wäsche nachher wenigstens richtig sauber ist, ist dabei purer Luxus.

Dienstag, 6. Oktober 2009.

Da die Waschmaschine ordnungsgemäß funktioniert hat (das heißt, meine Kissen sind nun am Rand eingerissen und, nachdem ich all die Flusen, die die Maschine an ihnen hinterlassen hat, weggeklaubt habe, nur mäßig sauber), kann ich den letzten Punkt in der Checkliste abhaken und meinen Briefkastenschlüssel in Empfang nehmen. Der quillt schon fast über (allerdings alles Post für den Vormieter).

An der Rezeption teilt man mir auch mit, dass das Ummelden des Stromanschlusses auf meinen Namen offensichtlich nicht geklappt hat, weil kein Techniker hier war um den Zählerstand abzulesen. So etwas hatte ich schon befürchtet, da ich nach dem Anruf beim Stromriesen (am Tag des Einzugs) nicht sicher war, ob die am anderen Ende der Leitung verstanden hatten, was ich wollte (ehrlich gesagt wusste ich das selber nicht so genau). Außerdem habe ich noch keine social security number und das macht jegliches Geschäft um vieles komplizierter. Also rufe ich wieder dort an, wähle mich durch endlose Menüs zu einem Mitarbeiter, schildere meinen Fall und gebe alle meine Daten an. Nur um dann zu erfahren, dass die Umstellung doch schon längst geschehen sei. Allein die Dame an der Rezeption will mir das nicht glauben. In ihrer Gegenwart rufe ich nun ein drittes Mal bei Entergy an (die Menüansagen kenne ich inzwischen schon auswendig), und gebe den "ersten freien Mitarbeiter", der mir erneut bestätigt, dass alles seine Richtigkeit hat, an sie weiter. Es stellt sich heraus, dass das Ablesen des Stromzählers von der Zentrale vorgenommen werden kann, ohne dass extra ein Techniker vorbeischauen muss. Allerdings hat sich diese Tatsache noch nicht bis zur Papillon-Verwaltung herumgesprochen (Eric ging es vor zwei Monaten bei seinem Einzug genauso).

Mittwoch, 7. Oktober 2009.

Keine besonderen Vorkommnisse. Stattdessen möchte ich an dieser Stelle ein paar Worte über das Essen verlieren. Die meisten Sachen, die man in dem kleinen netten Supermarkt gleich um die Ecke kaufen kann, sind ziemlich schrecklich: Zu erwarten war natürlich das Wattebrot, doch selbst ein Produkt, das mit "German dark bread" beschriftet ist, hat dieselbe Konsistenz, nur dass es eben eine dunkle Farbe hat und zwei Tage, nachdem ich es gekauft habe, zu schimmeln anfängt. Dann Käse, der eher an ein Imitat erinnert, Aufschnitt, in dem alles mögliche verwurstet ist, und Wiener Würstchen in der Dose, vor denen es sogar der Sau graust, aus der sie hergestellt wurden. Auch Spam gibt es zu kaufen (die widerlichen Werbe-E-Mails sind tatsächlich nach diesem Dosenfleisch benannt), und ich weiß nun, dass diese Namensgebung nicht ohne Grund ist. Bei einer Dillgurke wird mir fast schlecht und die Auswahl von Tees beschränkt sich auf schwarzen und grünen. Zugegeben, diese Aufzählung stellt eine Auswahl der Negativ-Highlights dar; die übrigen Lebensmittel sind halbwegs normal und gut. Aber ein kulinarischer Höhepunkt sind die ersten Tage definitiv nicht. Allein mit den eingelegten Okra-Schoten kann ich mich gut anfreunden.

Donnerstag, 8. Oktober 2009.

Heute wird die Einrichtung im Math Department umgeräumt. Auf dem Gang stehen diverse (gebrauchte) Bürosessel, Schreibtische und Regale. Die Sekretärin erklärt mir, dass ich mich frei daran bedienen darf und wenn ich Hilfe beim Tragen brauche, einfach ein paar Graduate Students abkommandieren soll ;-)

Das einzige, was ich wirklich brauche, ist ein besserer Stuhl: Der, auf dem ich bisher gesessen habe, ist schon sehr ramponiert, ein uralter Drehsessel aus Holz, aus dessen Lederbezügen schon an mehreren Stellen das Futter quillt. Während ich am Gang entlanglaufe und auf den anderen Stühlen probesitze, wundert sich Victor Moll über mein Treiben. Spontan bietet er mir den riesigen Chefsessel an, der in einer Ecke seines Büros verstaubt (er benutzt ihn nicht, weil er so bequem ist, dass er ständig Angst hat darin einzuschlafen!).

Freitag, 9. Oktober 2009.

Das Leben ohne Sozialversicherungsnummer ist schwierig: Kein Formular, kein Anruf, bei dem man nicht als erstes nach dieser magischen Zahl gefragt wird. Meist wird es dann problematisch, wenn man gestehen muss, dass man gar keine hat. Beantragen kann man sie aber erst nach mindestens 10 Tagen Aufenthalt in den USA (und ab da dauert es noch einmal mindestens zwei Wochen, bis man sie per Post erhält). Für mich ist es also heute an der Zeit, das social security office aufzusuchen. Gleich nach dem Aufstehen fahre ich in die Innenstadt, nur um festzustellen, dass die Adresse, die man mir bei der Orientation gegeben hat, seit einem Jahr schon nicht mehr stimmt. Ein weiterer halbstündiger Spaziergang ist die Folge. Endlich dort angekommen darf ich erst einmal eine Nummer (genauer eine Buchstaben-Nummern-Kombination, in meinem Fall D364) ziehen und ein Formular ausfüllen. Um bequem schreiben zu können, will ich mich an einen der unbesetzten Schalter setzen, werde aber sofort vom Aufpasser zurückgepfiffen, der hier ein strenges Regiment führt und für Zucht und Ordnung sorgt. Über einen krächzenden Lautsprecher werden Nummern und Namen aufgerufen, F91, Mr. Br**bl***b, D351?, F92, usw., und es erfordert höchste Konzentration, sowohl die Nummer zu verstehen als auch den Schalter, zu dem man kommen soll. Nach über einer Stunde des Wartens folgt dann das böse Erwachen: Jedes Mal, wenn ich "fifty" verstanden habe, war in Wirklichkeit "sixty" gemeint! Alles Protestieren hilft nichts, ich darf mich keinesfalls nach der D365 einreihen (weil da ja dann die D366 kommt!), sondern muss eine neue Nummer ziehen und weiter warten, nun auf die D370 (die zum Glück weniger Spielraum für akustische Missverständnisse lässt!).

Am Abend dann wieder einmal schwere Unwetter (es regnet eigentlich fast jeden Tag mindestens einmal) und - Oh Wunder! - zum ersten Mal kühlt es merklich ab: Die folgenden Tage wird es angenehme 25 Grad haben. Der Nachteil ist, dass nach so einem Regenguss meist der ganze Campus unter Wasser steht. Nicht sehr hoch, doch immerhin so viel, dass man sich unweigerlich nasse Füße holt.

Samstag, 10. Oktober 2009.

An Samstagen pendelt der Bus nicht zwischen Uni und Wohnheimen hin und her, sondern steuert als "grocery shuttle" diverse Einkaufsmärkte an. Diesen kostenlosen Service nutze ich, um zu WholeFoods zu gelangen - einem Supermarkt, der für hochqualitative Produkte bekannt ist. Dort gibt es nun wirklich alles, was mein Herz begehrt: richtiges Brot, ordentlichen Käse (weit über 100 Sorten), gute Wurst- und Fleischwaren, Obst und Gemüse in allen Variationen. Daneben Delikatessen aus aller Welt, darunter "german sauerkraut" und "Meister Hans's german bratwurst". Das Beste aber ist die Fischtheke, wo es eine unglaubliche Auswahl an verschiedenen Filets und anderen Meerestieren gibt. Gleich decke ich mich mit frischen Muscheln und Shrimps ein (erstere bereite ich noch am selben Abend in einem Weißweinsud zu). Dieses überwältigend gute Angebot hat natürlich seinen Preis (so kann man für ein 100-Gramm-Käsestückchen schnell einmal 10 Dollar oder mehr hinblättern). Meine Rechnung summiert sich am Ende auf fast 150 Dollar! Der Einkaufswagen quillt aber auch schon fast über mit guten Sachen, die mich über die ganze Woche retten sollen. Was daraus dann alles entstanden ist, sieht man hier.

Epilog

Nun hat die Geschichte also doch noch ein gutes Ende genommen. Damit meine Schilderungen aber nicht den Eindruck erwecken, dass alles hier ganz furchtbar ist und was nur schiefgehen konnte auch schiefgegangen ist, bleibt zu sagen, dass in einem solchen Bericht naturgemäß die negativen Erlebnisse zwecks Unterhaltungswert überwiegen (in der Zeitung steht ja auch nicht, wenn es gestern in Japan mal kein Erdbeben gegeben hat). Insgesamt fühle ich mich wohl, es geht mir blendend und ich bin sehr zufrieden, wie mein Start hier verlaufen ist.